Prof. HAN Shuifa spricht über Kunst der Aufklärung: "Kunst der Verklärung"
时间:2011-04-22 12:00 来源:作者:
In: Frankfurter Rundschau
Autor: Bernhard Bartsch
Datum: 31 | 3 | 2011
Kunst der Verklärung
Ein Versuch, Aufklärung zu exportieren.
Heinrike soll höher hängen, findet Michael Eissenhauer. Der Berliner Museumsdirektor hat eines seiner wertvollsten Werke an das Pekinger Nationalmuseum verliehen: das Porträt der Heinrike Danneker von Gottlieb Schick, gemalt 1802, eine Ikone der Aufklärung, der Emanzipation und des gymnasialen Geschichtsunterrichts. Die junge Frau in die Farben der französischen Revolution soll China die „Kunst der Aufklärung“ vermitteln, zusammen mit 600 Werken, die die Staatlichen Museen Berlin, Dresden und München ein Jahr lang in Peking zeigen.
Noch weiß in China allerdings fast niemand von der Ausstellung, es gibt weder Werbung noch Zeitungsartikel. „Aber unsere chinesischen Partner vergewissern uns, dass wir uns um Besuchermangel keine Sorgen zu machen brauchen“, sagt Eissenhauer. Was die Publikumszahlen betrifft, steht der Erfolg der Ausstellung, die den deutschen Steuerzahler rund zehn Millionen Euro kostet, nicht in Frage.
Ob sich der Aufwand gelohnt hat, hängt allerdings von etwas anderem ab: Kann die „Kunst der Aufklärung“ ihren Weg in Chinas gesellschaftspolitische Debatten finden und Intellektuellen Lust darauf machen, die chinesische Gegenwart durch das Prisma des europäischen 18. Jahrhunderts zu betrachten? Die deutschen Ausstellungsmacher sind von ihrem Projekt überzeugt. „Das Recht des Individuums auf seine Subjektivität und seine eigene Gefühlswelt ist etwas ungeheuer Revolutionäres“, erklärt Eissenhauer.
Aus dem Mund eines deutschen Museumsdirektors sind solche Sätze kein Politikum. Trotzdem kann das Programm der Aufklärung in der Volksrepublik, die von der Kommunistischen Partei mit absolutistischem Herrschaftsanspruch und teils barocken Regierungsmethoden geführt wird, Sprengstoff enthalten. „Wir stellen natürlich nicht den Nobelpreisträger aus, der im Gefängnis sitzt“, sagt Kurator Jörg Völlnagel in Anspielung auf Liu Xiaobo, der für seinen Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, elf Jahre Haft erhielt. „Dass sich Parallelen ziehen lassen, liegt auf der Hand.“ Auch Eissenhauer betont, es handle sich nicht um eine politische Ausstellung: „Wir vertrauen auf die Macht der Bilder.“ Bei der Werkauswahl habe es von chinesischer Seite keinerlei Einmischung gegeben.
So hängen nun in unmittelbarer Nachbarschaft des Tiananmen-Platzes, wo die Partei 1989 die Studentendemonstration blutig niederschlug, Bilder der Französischen Revolution, dem brennenden Paris und Ludwig XVI. auf dem Weg zum Schafott. Die Pekinger Führung hat keine Angst vor europäischer Geschichte – und auch Chinas Intellektuelle brauchen nicht den Umweg über die Vergangenheit, um sich der Gegenwart bewusst zu werden. „Qimeng“, wie die Aufklärung auf Chinesisch heißt, war eines der Schlagworte, mit denen vor hundert Jahren das Ende des Kaiserreichs eingeläutet wurde.
„China hat seine eigene Aufklärungsgeschichte“, sagt Qian Liqun, Literaturwissenschaftler an der Peking Universität. So spiele etwa die Bewegung des 4. Mai 1919, als Chinas Jugend neue politische Modelle zu fordern begann, eine ähnliche Rolle wie die Französische Revolution für Europa. Zu den einflussreichsten Vordenkern gehörte der Schriftsteller Lu Xun (1881 – 1936), der als Begründer der modernen chinesischen Literatur gilt und sich gegen Obrigkeitshörigkeit, die Grausamkeit der Gesellschaft und den weit verbreiteten Aberglauben richtete. „Lu Xun hat sich zweifellos als Aufklärer gesehen“, erklärt Qian. „Er hat den Menschen immer bewusst gemacht, was sie wissen und was sie nicht wissen.“
Der „Qimeng“ hat in chinesischen Ohren einen so guten Klang, dass er häufig als Name für Kindergärten oder Schulen benutzt wird, als Synonym für moderne Pädagogik. Doch positiv aufgeladene Begriffe lassen sich auch leicht missbrauchen. „Wer sich als Aufklärer sieht, hat leicht das Gefühl, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein“, sagt Qian. „Das kann zu einer ganz eigenen Form von Despotismus führen.“
Solche Worte lassen sich durchaus als Kritik an der kommunistischen Führung verstehen, deren Generalsekretär Hu Jintao in bester Aufklärerrhetorik die Parole der „Wissenschaftlichen Entwicklung“ ausgegeben hat. „Wenn man heute aus der Aufklärung etwas lernen will, dann sollte das die Erkenntnis sein, dass es nie nur eine Wahrheit gibt, dass niemand für sich allein eine Führungsrolle beanspruchen kann und dass der gesellschaftliche Lernprozess nie aufhört“, so Qian.
Han Shuifa, Vizedekan des Zentrums für deutsche Philosophie an der Peking Universität, hat den Verdacht, dass die Deutschen die Ausstellung als elegante Form der zivilisatorischen Nachhilfe sehen. „2008 war in Peking eine Tagung, bei der Deutschlands Bildungsministerin Anette Schavan uns in einem Vortrag die Aufklärung erklären wollte“, erzählt er. „Sie glaubt offenbar, dass es in China an Verständnis zu Themen wie Demokratie oder Freiheit mangelt, aber in Wahrheit kennen wir Wissenschaftler zumindest die Theorie sehr gut aus.“
Das Projekt der Aufklärung ist aus seiner Sicht nicht abgeschlossen. „Aufklärung ist nicht nur eine Sache der Theorie, sondern der praktischen Umsetzung“, sagt Han. „Deshalb glaube ich, die Bedeutung der Ausstellung wird begrenzt sein.“ Dem Begleitprogramm aus Diskussionen und Veranstaltungen traut er dagegen zu, auf die chinesischen Besucher Eindruck zumachen. „Die Voraussetzung ist aber, dass die Deutschen deutlich machen, dass Demokratie und Freiheit in Europa auch nicht über Nacht verwirklicht wurden“, meint er. „Vorher gab es noch Krieg und Holocaust.“